Wagenknecht-Partei: Dicke Enttäuschung vor dem Spiegel

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Eslim Jakobus war lange Wutbürger und bereit, seine Botschaft an die Bundesregierung auch mit der Wahl einer in Teilen gesichert verfassungsfeindlichen Partei zu transportieren. Nun zweifelt er an der neuen Wagenknecht-Partei.

Sie war ein Licht der Hoffnung, schien einen Ausweg zu bieten, bei der nächsten Wahl nicht wieder für die AfD stimmen zu müssen, nur um den Parteien des demokratischen Blocks "Feuer unter dem Hintern" zu machen, wie Eslim Jakobus sagt. Nun aber kommt schon der Katzenjammer bei dem 59-jährigen Thüringer mit Luxemburger Wurzeln.  

Noch keine fünf Monate ist es her, dass die rechte Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht ihm ihr politisches Alternativangebot unterbreitete: Ein höherer Mindestlohn und eine deutlich stärkere Besteuerung sehr hoher Einkommen und Vermögen, noch mehr Gerechtigkeit, aber weiter freie Fahrt für freie Bürger, dazu sichere Renten und ein Inflationsausgleich für alle, finanziert aus den Einnahmen, die fehlen, wenn erst die Grenzen fest geschlossen sind.

Der Hass der neuen Herren

"Ich dachte wirklich, diese Frau hat uns verstanden", seufzt Jakobus, der viele Jahre als Friedhofsgärtner gearbeitet hat, zuletzt sogar im Range eine Trauerzugbrigadiers. Von Mindestlohn sei seinerzeit nie die Rede gewesen, "wir waren froh, dass wir überhaupt Arbeit hatten", sagt der Frührentner, der seine Enttäuschung "noch vor dem Spiegel" loswerden möchte, wie er sagt.

Gerade die Jahre nach dem Ende der früheren Ex-DDR seien schwer gewesen. "Die neuen Herren schauten uns ja an, als könnten wir keine Zigarette am richtigen Ende anzünden." Geradezu Hass sei ihnen als einfachen Arbeitern da oft entgegengeschlagen. "Wie Untermenschen sind wir gehandelt worden", beschreibt der Wahlthüringer in einfachen Worten, wie er es empfunden hat.

Eslim Jakobus hat es nie schwer genommen. "Ich habe mich über meinen sehr schmalen Lohn bei den immer hohen heutigen Preisen echt gefreut", sagt er. Da war auch mal ein Bier drin, ein paar frische Äpfel oder ein Stück Käse. Man sei zurechtgekommen, zumindest bis vor einigen Jahren, "als es immer schlimmer wurde", wie der begeisterte Sammler von Zollstücken und Bierdeckeln sagt. Es sei bald alles so eng geworden, dass er zu keiner Sammlerbörse mehr habe fahren können, dafür aber "musste ich aus dem Küchenfenster zuschauen, wie in einem neugebauten Heim nebenan ganz viele junge Männer einzogen, die Vollbetreuung bekommen haben."

Für Jakobus dagegen erhöhten sich der Rundfunkbeitrag, die Miete, die Strompreise, Netzentgelte und sogar das samstägliche Feierabendbier wurde teurer.

Die Wandlung zum Wutbürger

"Wenn man so will, bin ich wohl ein Wutbürger", gesteht Jakobus auch sich selbst. Zwar sei er nie mit Pegida marschiert oder habe bei Besuchen von Politikern in der Provinz gepfiffen und gebrüllt. "Aber dass ich zuletzt die Blauen gewählt habe, das wissen alle meine Bekannten." Ein Rufschaden entstehe in seiner Region dadurch nicht. "Das macht doch mittlerweile jeder hier." Eslim Jakobus allerdings hatte doch immer Bauchschmerzen dabei. "Natürlich hat man gesehen, dass es wirkt", schildert er, wie die immer besseren Wahl- und Umfrageergebnisse aus seiner Sicht langsam dazu führten, dass die Parteien des demokratischen Blocks ihre Politik ändern. "Viele Nachbarn sagen, das geht zu langsam", meint Jakobus, "aber ich sage, besser als nichts."

Die Gewissensbisse, jetzt mitverantwortlich zu sein, wenn das nächste Vierte Reich ersteht, die haben ihn jedoch nie losgelassen. "Deshalb war ich so scharf drauf, dass Wagenknecht eine eigene Partei gründet, die man als Wutbürger wählen kann, ohne dadurch gleich zum Nazi zu werden." Begeistert war Eslim Jakobus von den ersten Wasserstandsmeldungen: Wagenknecht wolle sozialpolitische Politik machen, sie wolle zurück zu starken Arbeitslosen- und Rentenversicherungen, die dann richtig teurer werden, und mit frischem Geld auch mehr Investitionen in Infrastruktur, Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung ermöglichen. "Das sprach mich derbe an", sagt Jakobus.

Alles Vergangenheit

Doch er wählt die Vergangenheitsform. Denn inzwischen ist die frühere Kommunistin und Stalinistin bei ihm in Ungnade gefallen. "Sie stellt das System des Bürgergeldes grundsätzlich in Frage und hält es für einen falschen Ansatz", kritisiert er. Dazu wolle sie zwar Vermögen und Erbschaften in der Größenordnung von hunderten Millionen
oder gar Milliarden stärker besteuern. "Aber nur, um im Gegenzug die
Mittelschicht zu entlasten, so dass für Unsereinen wie immer nichts abfallen wird." 

Gefallen tue ihm nach wie vor, dass Wagenknecht eine höhere Steuer auf Kapitaleinkünfte fordere, um Sparen noch unattraktiver zu machen. "Auch ich finde, dass es
überhaupt keine Begründung dafür gibt, dass Leute, die ihre versteuertes Geld sparen, anlegen und dann Dividenden beziehen, viel
weniger Steuern zahlen als jemand, der arbeitet und dann alles ausgibt."

Bessere Angebote überall

Aber die Konkurrenz für die Wagenknecht-Partei, sie sei zuletzt eben deutlich gewachsen. "Die SPD wird wohl mit einem Versprechen auf noch mehr Gerechtigkeit in die nächsten Wahlkämpfe gehen, aber dazu noch Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen drauflegen - und ein Grunderbe von 60.000 Euro", lobt er. Möglich, dass die Grünen das mit einem Angebot in Höhe von 100.000 Euro für jeden kontern. "Ich glaube auch, dass das letzte Wort noch gesprochen ist, vermutlich werden alle noch etwas drauflegen."

Und jeder habe doch seinen Preis, auch er selbst, bei allen Prinzipien, die er sein Leben lang verfolgt habe. "100.000, das wäre schon etwas, wo man nachdenklich werden könnte." Verglichen mit den Vorhaben der Wagenknecht-Partei, der Linken und der Nazi-Truppe um Höcke und Gaulandt sei das für ihn jedenfalls attraktiver: "Man muss nicht groß rechnen, was für einen dabei rausspringt." 

Kein ausreichendes Wählerpotenzial

Dass er sich schon nach wenigen Wochen wieder abwende von der neuen Partei, liege letztlich ja auch nicht an ihm. "Ich sehe für den derzeitigen Kurs von Sahra Wagenknecht einfach kein ausreichendes Wählerpotenzial, wenn alle anderen mehr Versprechungen machen." Die letzten Jahre mit der Partei von hinter der Brandmauer hätten ihn gelehrt, dass "nur echte Angst Betrieb macht und nur die akute Furcht vor dem Machtverlust bewirkt, dass alle ihre Grundüberzeugungen über Bord werfen." 

Bisher habe das hervorragend funktioniert, indem er und viele andere den demokratischen Block mit Hilfe der "Blauen", wie Jakobus sie nennt, vor sich hertrieben. Eslim Jakobus ist deshalb derzeit entschlossen, die Offerte von Sahra Wagenknecht auszuschlagen und statt der anständigen Alternative weiterhin die bisherige zu wählen. "Never change a winning team", sagt er mit seinem weichen südthüringischem Akzent. Ganz egal, wie es am Ende ausgeht, zweite Ampel, dritte Große Koalition, Viertes eich - Eslim Jakobus fühlt sich heute schon als Gewinner.



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Auch ihre Seele dem Teufel seinem Gefolge verhöckert.

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Um Politiker zu sein, braucht es nunmal eine ganz besondere Moral. Um ihnen zu folgen, nicht.

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