Die Welt von Morgen: Krieg den Hütten

Wer noch eins hat, muss die energetische Sanierung seiner Immobilie mit dem letzten Hemd bezahlen.

Es muss jetzt alles ganz schnell gehen. Nach Jahrzehnten, in denen Deutschland nur knapp mehr als eine Billion Euro in die Organisation des weltweit größten und einzigen Energieausstiegsplanes investiert hat, steht das Land vor einem Neuanfang. Weitere fünf Billionen Euro werden benötigt, um die Reststrecke bis zur Klimaneutralität zu finanzieren. Mehr als bisher müssen auch Privatleute mitmachen müssen: Wohnungsheizer und Hausbesitzer, Pendler, Urlauber und Konsumenten, sie alle stehen nach den neuen Beschlüssen aus Berlin und Brüssel in der Pflicht, heute schon die Welt von Morgen zu bauen - mit gedämmten Wänden, dreifach verglasten Plastikfenstern und neu eingebauten Heizungen, die versprechen, sich über 30, 50 oder gar 80 Jahre hinweg vollständig zu amortisieren.  

Tödliche Verzögerungen

Jede weitere Verzögerung ist tödlich, gerade weil die Mehrzahl der Länder der Welt sich trotz des leuchtenden deutschen Vorbilds weigert, die Bedrohung des Klimas genauso ernst zu nehmen wie die Bundesregierung. Ein Jahr vor der anstehenden nächsten EU-Wahl herrscht deshalb Eile in Berlin: Mit einem wahren Trommelfeuer an neuen Regeln, Vorschriften und Vorgaben arbeiten Ampel-Koalition und EU-Kommission daran, Versäumtes aufzuholen und Geschwindigkeit im Klimakampf aufzunehmen. Nur Monate nach der Einigung auf ein Braunkohleausstiegsgesetz, das das Ende der Kohle für 2038 festschrieb, spricht der Klimawirtschaftsminister von einem Ausstieg "innerhalb der nächsten zehn Jahre", das Deutschland wolle (Habeck). Um die Zeit herum soll auch der Verbrenner auslaufen, die dünnsten Wände auf dem gesamten Kontinent sollen gedämmt sein und die meisten Heizung mit Gelegenheitsenergie laufen.

Leise Bedenken gibt es, weil Skeptiker und Leugner öffentlich Kritik äußern. Wer soll die energetische Sanierung von Oma ihr klein Häuschen, zahlen, wenn die greise Witwe nicht genug zurückgelegt hat? Wie zwingt man Banken und Sparkassen dazu, uneinholbare Kredite für Dämmstoffoffensiven zu vergeben, wenn als Sicherheit nur unverkäufliche Immobilien in den entleerten Weiten Brandenburgs hinterlegt werden können? Wird Vater Staat nach allen Geschenken, die er in den zurückliegenden Krisenjahren an Empfänger im In- und Ausland verteilt hat, auch noch die entscheidende Phase des Energieausstieges komplett allein durchfinanzieren können? Und wenn nicht, wie viele ehemalige Eigenheimbesitzer wird er später womit und wovon durchfüttern müssen?

Nicht allen kann geholfen werden

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil hat Zweifel, ob wirklich allen geholfen werden kann. Zu schnell, zu viel und viel zu wenig Installateure, Wärmepumpen und Solarpanele. In der "BamS" schlug sich Weil auf die Seite derer, die zwar Hilfe befürworten, aber dabei für eine klare gesellschaftliche Spaltung plädieren. Fördermittel, die Menschen in die Lage versetzen sollen, wenigstens zu versuchen, die ehrgeizigen staatlichen Vorgaben für Heizung, Dämmung und Energieeffizienz zu erfüllen, sollten "an die Höhe des Einkommens" gekoppelt werden, hat der SPD-Politiker vorgeschlagen.

Wir sollten nicht den Kauf jeder Wärmepumpe mit einem Festbetrag fördern, sondern die staatliche Hilfe je nach Einkommenshöhe staffeln", sagt der wegen seiner Geradlinigkeit beliebte Hamburger. Die Sanierungspflicht dürfe nicht dazu führen, "dass Menschen mit geringem Vermögen und Einkommen darüber ihr Haus verlieren". Ein Vorschlag, mit dem Weil offenbar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen will: Angesichts einer "Schere zwischen Arm und Reich", die seit Menschengedenken nur immer weiter "auseinanderklafft" (DW), verspricht eine entsprechende Neuregelung dafür zu sorgen, dass ärmere Hausbesitzer reicher, reichere aber ärmer werden.

Ein Krieg nicht gegen die Paläste, aber immerhin gegen größere Hütten, deren Eigentümer schon seit längerem als Problembürger gelten. Nachdem ein Verbot von Einfamilienhäusern vor zwei Jahren noch im ersten Anlauf scheiterte, könnte die angestrebte Nivellierung der Lebensverhältnisse im selbstgenutztem Wohneigentum mit dem weil-Vorschlag Fahrt aufnehmen: Wer sich sein Häuschen im Augenblick gerade noch so leisten kann, bekäme zumindest so viel Geld aus den regierungseigenen Förderkassen, dass er nicht auch noch in die übervölkerten urbanen Zentren drängt. Wer aber nach Energiepreisexplosion und Gesamtgeldentwertung noch 30.000, 50.000 oder 150.000 Euro für neue Fenster, Fußbodenheizung, Solardach und molliger warmer Steinwollefassade zahlen kann, der soll es demnächst tun.

Stephan Weil macht aus der Absicht kein Hehl, daran lässt seine sorgfältige Wortwahl kaum Zweifel. Die kommende Sanierungspflicht soll eben nicht so gestaltet werden, dass sie niemanden im Land Haus und Heim kostet. Sondern gezielt so gestaltet werden, dass zumindest "Menschen mit geringem Vermögen und Einkommen" darüber nicht ihre bescheidene Immobilie verlieren. Klare Kante für Gerechtigkeit: Niemand will dem nackten Mann in die Tasche greifen. Aber wer noch ein letztes Hemd besitzt, der wird es in Bälde ausziehen dürfen, um die gesellschaftliche Gerechtigkeit noch weiter voranzubringen.



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